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Das Laub raschelt, Zweige knacken unter meinen Füßen. Die Blätter über mir leuchten in der Morgensonne und entfalten all ihre herbstlich güldene Farbenpracht. Ich wandere durch eine hohle Gasse bergan. Links und rechts des in die Waldwellen eingetieften Karrenwegs stehen Fichten, Ahorn, dazu ein paar Buchen, Erlen und Birken dicht an dicht.

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Wie in dem Sprichwort sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Am Wegrand türmen sich Stapel von Stämmen – geschält und entrindet, alle gleich lang, mit leuchtroter Sprühschrift durchnummeriert und zum Abtransport bereit. Ich bin unterwegs auf dem Höhenweg der in alten Zeiten den frommen Pilger ebenso wie den Galgenstrick durch den dichten Zeller Wald geleitete: vom Kloster Dietramszell hinüber zum Kirchsee und nach Kloster Reutberg.

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Hinter der an einer Waldwiese gelegenen Wallfahrtskirche Maria Elend steigt der Weg an, der Wald wird urwüchsiger, verästelter, unheimlicher. Nahe des höchsten Punkts schraubt sich rechterhand der Holzpfahl der „Grünen Marter“ aus den mit Moos bepolsterten Boden. Eine rund zwei Meter hohe Gedenksäule mit drei Bildtafeln, die ein vorkragendes Blechdach mehr schlecht als recht vor Wind und Wetter schützt. Der Sage nach soll hier Anno Domini 1632 eine Mordtat verübt worden sein.

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Die schwedische Soldateska war von München her kommend marodierend und brandschatzend bis nach Dietramszell vorgerückt. Ein Pater des Augustiner-Chorherrenstiftes hatte sich in den Wald geflüchtet, um dort abzuwarten bis das „Mordsgesindel“ wieder abzog. Doch der mutige Pater wurde von einem der schwedischen Soldknechte aufgestöbert und aus seinem Unterschlupf gezerrt. Dass er auch unter der Folter nicht verriet, wo der Kirchenschatz abgeblieben war, brachte die Landsknechte so in Rage, das sie das „Pfäfflein“ zu Tode peinigten. Dass die Schweden den Schatz dann doch noch aufspürten – und er ihnen von einem Aufgebot Isarwinkler „Freischützen“ beim Gefecht an der Zwieselbrücke wieder abgenommen wurde, ist Stoff für eine andere Geschichte.

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Der Forstweg wird nun zum Waldpfad. Meine Schuhe scharren über Feldsteine, stapfen durch eine feuchte, von Wasserpfützen durchwirkte Senke, wuscheln durch struppiges Gras und springen über einen quer liegenden Baumstamm mit rissiger, grau gefleckter Borke. Endlich habe ich mein Ziel erreicht, ein schlichtes, schwarzes Kreuz. So schwarz und nachgedunkelt, dass es kaum vom „düsteren Tann“ ringsum absticht. Die fromme Mär weiß davon zu berichten, dass dereinst einer verheerenden Feuersbrunst just an dieser Stelle Einhalt geboten wurde. Die Flammen verlöschten, die Brandnester wurden eingedämmt, die glosende Glut erstickte. Man markierte diesen verwünschten Ort daher mit einem Kreuz, dessen Querbalken angesengt wurde. Daher auch der Name: „Schwarzes Kreuz“.

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Das „Schwarze Kreuz“ war ein beliebter Sammelplatz der Haberer. Ein Bildstock nahe dem Kreuz erinnert an das letzte Haberfeldtreiben im Tölzer Land in der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober 1886. Der Geheimbund der Haberer geht auf die Besetzung Bayerns im Jahr 1705 durch kaiserliche Truppen in Folge des spanischen Erbfolgekriegs zurück. In den schrecklichen
Jahren der Okkupation durch die „Österreicher“ litt das bayerische Volk unter Gewalt, Repression und Willkür.

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Da unter der Militäradministration weder Recht noch Gesetz galt, griff man in einigen ländlichen Landstrichen – vor allem im Oberland – zur Selbsthilfe und bestrafte Übeltäter und Gesetzesbrecher nach der „Vorväter Sitte und Brauch“. Das Haberfeldtreiben war eine Art Gerichtstag unter freiem Himmel, bei dem die zuvor Verurteilten an den Pranger gestellt wurden – und nach allen Regeln der Dichtkunst in Versform „dableckt“ wurden.

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Konkret sah ein Haberfeldtreiben so aus: vermummte Gestalten in wilder Montur und mit Ruß geschwärzten Gesichtern strömten aus der ganzen Umgebung zusammen und versammelten sich an einem geheimen Ort. Von dort zog die Meute mit brennenden Fackeln in den Händen auf einen Hügel oder eine Wiese in der Nähe des Dorfes des „Beschuldigten“, um dort mit Ratschen und Schellen so lauten Krawall zu schlagen, bis das ganze Dorf auf den Beinen und Aug und Ohr war. Vorort übernahm ein Habererfeldmeister die Rolle des Anklägers, der Schmäh- und Spottverse vortrug und dem Übeltäter seine Verfehlungen auf drastische Weise vorhielt.

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Seine „Schöffen“ bezeugten die Wahrheit der Anklagepunkte unter infernalischem Gelärme – und den Worten: „Wahr is!“ Worauf der „Vorbeter“ seinen Kumpanen zurief: „Nachad treibt’s zua!“ Die Antwort: Ein Rumoren, ein Scheppern und Rasseln, Büchsen- und Böllerknall. Ein wahrhaft höllisches Spektakel. Der Ober-Haberer verlas seine Klageschrift: „Im Auftrag Kaiser Karls des Großen im Untersberg, miaß ma enk doch amal ins Haberfeld treiben. Im ganzen Isarwinkel haben wir’s ausgeschickt unser
Ladungsschreiben. Und wird heunt alles augmährig gmacht von enk Schreibersgselln und wir wollen enk enkere Schandtaten schoh kloaweis verzehln. Und werd’s schö hörn, was für a Grewell aufgeht, bal ich frag: Is’s wahr oder net?“

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Der „Angeklagte“ bekam keine Gelegenheit sich zu verteidigen. Er musste die Schmähungen der Haberer mit gesenkten Haupt über sich ergehen lassen. „Angeklagt“ wurden Menschen, denen Verstöße gegen Sitte, Ehrsamkeit und Moral zur Last gelegt wurden, also ein betrügerischer Viehhändler, ein meineidiger Bauer, ein liederliches Weibsbild, ein bestechlicher Beamter oder ein „geistlicher Herr“, der es mit den zölibatären Gelübden nicht so eng nahm. In der Regel wurden jedoch nicht nur einzelne Delinquenten „ins Haberfeld getrieben“, sondern gleich mehrere „umtriebige“ Personen aufs Korn genommen. Schließlich sollte sich der betriebene Aufwand ja lohnen – und man konnte mehrere übel beleumdete Zeitgenossen in einem „Aufwasch“ abwatschen. Beim Abmarsch wurde wiederum ein Höllenlärm veranstaltet. Ketten, Kuhschellen, Gewehrsalven. Das ganze dezibelstarke Programm. Dann wurden Lampen und Laternen gelöscht – und die Haberer
verschwanden in der Nacht, aus der sie zuvor wie ein Spuk aufgetaucht waren.

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Hochburgen des „Habererunwesens“ waren das bayerische Oberland – vor allem die Gegend rund um Tölz, Tegernsee, Miesbach, bis hinunter nach Rosenheim. Seine Blütezeit erlebte es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Haberer waren von Beruf meist Bauern, Handwerker und Gesellen. Oft waren Haberer im „Nebenberuf“ auch Wilderer. In den Reihen der Haberer herrschte strenge Disziplin. Wie bei der Mafia oder der Camorra waren Treue zum „Patron“ und Verschwiegenheit oberstes Gebot des
verschworenen Unterwelt- oder besser Unterholz-Bunds. Auf den Bruch des Haberer-Eids stand die Todesstrafe.

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An den Aktionen der bayerischen „Sau“-Bande schlugen sich 100 „Haberer“ und mehr ins Feld. Beim großen Treiben in Miesbach vom 7. auf den 8. Oktober 1893 wurden sogar 350 „Aktive“ gezählt. Es ist überliefert, dass am Sammelplatz am Stoibstadel an drei Stellen gleichzeitig das Bier floss. Der „Bandenführer“, der Haberfeldmeister, sollte ein unbescholtener, in der Gemeinde angesehener „Ehrenmann“ sein und war an zwei weißen Gockelfedern an seinem Hut zu erkennen. Einer der bekanntesten und gefürchtetsten Feldmeister war Johann Vogl, der Daxer vo Wall, dessen Karriere jedoch mit dessen unrühmlicher Absetzung 1886 ein abruptes Ende fand. Und auch den Haberern sollte es bald an den Kragen gehen. Als die Obrigkeit anno 1894 die Teilnehmer von zwei hochkarätig besetzten Treiben dingfest machte, war die „gute, alte Zeit“ der Haberer-Herrlichkeit unwiederbringlich vorbei!

Dinesh Bauer