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Hossa, Ossa! Nein, mit einer ausgelasssenen Freudenfeier à la Rex Gildos „Fiesta Mexicana“ hat das lateinische Wörtchen „Ossa“, sprich Knochen, nichts gemein. Höchstens mit einer Toten-Feier. Und zwar der, im Zuge einer Zweit-Bestattung. Bereits seit dem Hochmittelalter existierte dieser Brauch einer Bestattung 2.0. Und war in ganz Mitteleuropa verbreitet. Nach einer Zeitspanne von fünf bis zu vierzig Jahren – je nach örtlicher Gepflogenheit und Bodenbeschaffenheit – wurden die menschlichen Überreste, die sich nach den natürlichen Verwesungsprozessen, noch in der Erde befanden, also die Knochen, ausgegraben und in einem sogennanten Ossuarium, im deutschsprachigen Kulturbereich Beinhaus oder Karner genannt, zur letzten Ruhe gebettet. Gebettet ist in diesem Zusammenhang eher ein Euphemismus, denn in der Realität wurden vor allem die Schädel, aber auch Oberschenkel- und Schulterknochen entlang der Mauern gestapelt, in Nischen und Schächten zu wahren Knochenbergen getürmt.

Für unser heutiges Verständnis von Pietät ein durchaus makabrer, befremdlicher Brauch. Tritt einen hier doch der Tod, die Vergänglichkeit alles Materiellen sehr plastisch, augenscheinlich vor Augen. Neben Massenbegräbnissen, um zum Beispiel nach blutigen Schlachten, bei Seuchen oder anderen Katastrophen die Leichenberge schnell zu beseitigen, wurde es in manchen Regionen gebräuchlich die Schädel zu beschriften, bevor sie ins Beinhaus wanderten. Der Schwerpunkt der „Beinmalerei“ lag dabei in Oberösterreich, im Salzkammergut, dem Bayerischen Wald und im östlichen Oberbayern jenseits des Inns.

Name, Geburts- und Sterbedatum wurden akribisch aufgeführt, dazu zierten Blumengebinde oder sakrale Motive wie Kreuze oder Marienmonogramme die Schädelknochen. So wuste man, ob dort der Großvater oder ein anderer Urahn lag, der Schädel bekam so ein Gesicht. Vor allem im 19. Jahrhundert blühte diese spezielle Form der Malerei. Nicht nur der Todestag, sondern auch die näheren Umstände des Dahinscheidens wurden nun notiert, mit religiösen Sinnsprüchen garniert. Die eingehende Beschriftung der Totenschädel mit Namen, Lebensdaten, einem frommen Spruch entspricht dabei der zur selben Zeit aufkommenden Sitte die „oberirdischen“ Gräber mit einem schmiedeeisernen Kreuz, schließlich mit Grabsteinen zu versehen.

Mit der Zeit wurden aus den Schädeln wahre Kunstwerke. Waren es zunächst simple Symbole wie das Kreuz, das Christusmonogramm IHS oder das Herz Jesu, die wiederum von Blütenkränzen, Eichenlaub, Lorbeerkringel und verschnörkelten Kartuschen umrahmt waren, kam später die Memento Mori-Motivik in Mode, mit sich gruselig windenden Schlangen, Sensen schwingenden Totengerippen und ähnlich schauerlichen Darstellungen. Diese „Horror-Show“ sollte den Hinterbliebenen, wenn diese in den Beinhäuser beteten, Weihwasser versprengten oder ein Totenlichtlein aufstellten, drastisch vor Augen führen, dass alles Gewese der materiellen Welt nichts wie Schall und Rauch war, alles, aber auch wirklich alles vergänglich und den unerbittlichen Gesetz von Werden und Vergehen unterworfen war.

Dinesh Bauer Nov 2022