Schlagwörter
bayrische Sagen, bayrisches Inntal, Falkensteiner, Freveltat, Grafenloch, Höhlenburg, historischer Ort, Hochmittelalter, Luegstein, Mordtat, Naturdenkmal, Oberaudorf
Ende Juni – 32 Grad im Schatten. In der Sonne sind es gefühlt 40 Grad, unerträglich, wenn es über freie Flächen bergauf geht. Doch der Weg hinauf zur Luegsteinwand windet sich durch schattenspendenden Bergwald. Der Aufstieg ist zwar südseitig, aber jetzt am späten Abend liegt die nach Westen hin abgeschirmte Wand im Schlagschatten. Unten am Luegsteinsee sind barfüßige Bikini- Nixen und Bade-Latschenbeppis unterwegs. Hier heroben geht ohne solides Schuhwerk nix. Der Wanderpfad hinauf zum Grafenloch in der Luegsteinwand ist weder besonders schwierig, noch sonderlich steil. Doch das letzte Stück hat es in sich.
Ein schmaler, mit einem Drahtseil versicherter Felssteig hangelt sich die Wand entlang, auch kein Problem, aber alpines Gelände wie es so schön heißt. Schwindelfrei und trittsicher sollte man lieber sein. Prada-Pantinen sind hier nicht unbedingt das adäquate Schuhwerk. Mit einer rutschfesten, griffigen Vibram-Sohle ist man klar im Vorteil. Die letzten fünf Höhenmeter überwindet eine Trittleiter. Am oberen Felsabsatz sieht man noch deutlich die Mauerreste eines mittelalterlichen Torbogens. Auch früher erfolgte der Zugang über
eine Holzleiter, die man jederzeit hochziehen konnte. So war die Felsenfeste fast uneinnehmbar.
Gleichzeitig öffnet sich der Blick in eine weite Höhle. Es sieht aus als ob ein hungriger Zyklop ein Stück aus der Wand gelöffelt hat. Die Decke ist von Rissen zerfurcht und hängt gut drei Meter über. In den lehmigen, zum Inneren der Höhle sanft ansteigenden Boden hat sich ein Rinnsal gekerbt. Die
Aussicht, der sich nach Süden hin öffnenden Höhle ist einfach nur eines: grandios, gigantisch. Die wild gezackten Felsenkämme des – Nomen est Omen – Wilden Kaisers erscheinen zum greifen nah, im Abendlicht scheint jede einzelne Rippe, jede Spalte wie von der kundigen Hand eines Steinmetzes
modelliert. Früher nannte man den Berg nicht von ungefähr Luegstein. Was nichts mit Lug und Trug zu tun hat, sondern sich wie der Pass Lueg im Salzburgischen vom mittelhochdeutschen Verbum „luegen“, also Ausschau halten, sich umschauen, herleitet.
Schauen wir uns also etwas um und lugen ums Eck – was man sieht lässt Höhlenforscher und Burgenkundler euphorisch werden. Hie und da sind noch einige Mauerreste, wie Teile der gut ein Meter dicken Mantelmauer, zu erkennen. Eindeutige, archäologische Belege, dass die strategisch günstig
gelegene Höhle in eine befestigte Anlage verwandelt wurde. Heute ist man sich weitgehend einig, dass es sich um eine hochmittelalterliche Höhlenburg handelt. Und die sind in Bayern extrem selten. Die Anlage erinnert ein Stück weit an das Castel San Gottardo. Eine nur auf verwucherten Pfaden zu
erklimmende, in einen Felsspalt geklemmte Höhlenburg im Trentino, oberhalb von Mezzocorona.
Grabungen gab es im Grafenloch bislang nur wenige, die Resultate waren mager. Ein paar Keramikfunde, rostige Resterl et cetera. Die letzte Ausgrabung fand 2008 statt. Diese brachte immerhin die Erkenntnis, dass es sich bei dem Bauwerk wohl um die Vorgängerin der Auerburg unten im Tal handelt. Die Burgherren waren vermutlich Vasallen oder Ministerialen des zur Stauferzeit bedeutsamen Grafengeschlechts der Falkensteiner. Die Höhlenfeste wurde wohl um 1100 herum errichtet und 150 Jahre später, also 1250, von ihren Bewohnern verlassen. Vermutlich war es Ihnen hier oben, vor allem im Winter, dann doch auf Dauer zu zugig und unwohnlich.
Bislang deutet nichts darauf hin, dass die Höhle schon in prähistorischer Zeit bewohnt war, nach Neandertalern und anderen Steinzeitmenschen wird man also vergeblich Ausschau halten. Was es allerdings gibt, ist eine alte Sage. Ein blaublütiger Tunichtgut war auf das elterliche Erbe scharf. Kurzerhand meuchelte er Vater und Mutter – mit eigener, ruchloser Hand. Dem durch diese Bluttat an die Macht gekommenen Grafen weissagte eine Zigeunerin, dass diese Freveltat nicht ungesühnt bleiben und ihn der Blitz treffen werde.
Wie prophezeit schlug kurz darauf ein Blitz in den Burgturm ein – und der Übeltäter bekam es mit der angst. Er residierte fortan in der Höhle, dem „Grafenloch“, dort wähnte er sich vor dem himmlischen Strafgericht sicher. Es kam wie es kommen musste, eines Tages zog wie aus heiterem Himmel ein Gewitter auf. Verzweifelt suchte der Bösewicht sich in Sicherheit zu bringen, doch noch auf der Leiter ereilte ihn sein Schicksal und – Potz, Blitz und Donner – verbrutzelte der Unhold wie eine Bratwurst am Grill.
Dinesh Bauer
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