Schlagwörter
Bösewichter, Bierpanscher, Burgen, Burgmauern, Burgturm, Fluss Regen, Geister, Geisterburg, Kerker, Ludwig der Bayer, Mittelalter, Nittenau, Oberpfalz, Raubritter, Raubritternest, Ruine, Sagen, Sagen und Märchen, Spukschloss, Stockenfels, Verbannungsort der Geister, Verlies
Worte demaskieren: der Wettbewerb ist ruinös, die Laufbahn ruiniert und die Stadt eine einzige rauchende Ruine. Das Wort Ruine hat einen unguten, zerstörerischen Beigeschmack. Und es markiert beileibe nicht nur die Überreste eines zerfallenden Gebäudes, einer Burg, einer Befestigungsanlage, einer Brücke, einer Fabrik. In dem Begriff Ruine lauern unterschwellig die drei grausigen V-Wörter: Verwüstung, Verderben und Vernichtung. Dennoch ziehen uns die grauen, von dunklen Geheimnissen umwitterten, von Sagen umsponnenen Gemäuer magisch an. Scheinbar aus der modernen Zeit gefallene Orte, die uns mit den Abgründen der menschlichen Natur konfrontieren. Orte deren düstere Aura überdeutlich zu spüren ist. Orte an denen ruhelose Geister hausen, die eine gruselige Geschichte zu erzählen haben. Von einem grauenvollem Fluch verdammt, bei Nacht und Nebel um die trostlosen Mauern zu spuken. Plätze, die nicht zum Picknick laden, die in einem unheimlichen und abweisenden Fluidum fluoreszieren. Allein die Vorstellung in deren dunklen Verliesen und Karzern zu schmachten, jagt uns einen Schauer des Entsetzens über den Rücken.
Eine dieser finsteren Ruinen erhebt sich trotzig auf einem Bergbuckel hoch über dem Fluss Regen: Burg Stockenfels versteckt sich in einem tiefen, verwunschenen Hexenwald. Beim steilen Aufstieg gerät man also – bildlich gesprochen – vom Regen in die Traufe. Raubritter, Wegelagerer und Mordsgesindel jeglicher Couleur machten im Mittelalter die Umgebung unsicher und verbreiten Angst und Schrecken unter unseren Vorfahren. Die „strategische“ Lage der Burg könnte für räuberische Unternehmungen günstiger kaum sein. Genau unterhalb der Burg knickt der Fluss Regen nach Süden ab – und nach Osten hin hatte der Ausguck freien Blick auf die Nittenauer Senke – durch diese verlief die alte Herr- und Handelsstraße von Bayern nach Böhmen. Es gab also etwas zu holen, man konnte Weg- und Brückenzoll kassieren oder die Reisenden überfallen und bis auf die Unterhose ausplündern. Erstere Art von „Wegelagerei“ erwies sich über die Jahrhunderte als die profitablere Variante der „Straßenräuberei“. Die Mautstellen an den Autobahnen legen davon bis heute Zeugnis ab.
Doch kehren wir für einen Moment in die Gegenwart zurück – und schauen uns die Ruine in ihrer jetzigen Gestalt genauer an: Über die Hauptburg wacht ein mächtiger, klobiger Wohnturm, den Hof im Innern durchziehen Mauerreste, deren einstige Funktion nur noch zu erahnen oder dem Burgführer zu entnehmen ist. Die Außenmauern wirken archaisch, klotzig und zeigen dem Betrachter die kalte Schulter. Das Mauerwerk besteht aus unregelmäßig behauenen Granitblöcken, nur an Hand der Ecken und Kanten lässt sich die Handschrift der Handwerker sehen: sorgfältig behauene Buckelquader künden von der Steinmetzkunst der Altvorderen. An der Westseite, rund 10 bis 15 Höhenmeter unterhalb des Burg-Plateaus liegt die Vorburg. Ein rechteckiges, reichlich lieblos gemauertes Gemäuer, sollte wohl Ställe, Speicher und Geräteschuppen vor überfallartigen Attacken unliebsamer Besucher schützen. Der Wohnbau, der Palas, liegt wie meist im sonnigen Süden der Anlage. Keller, überwölbtes Erdgeschoss, schmale Schieß- und Lichtscharten. Im Obergeschoss residierte der Burghauptmann und hatte den größeren Komfort wegen Rundbogenfenster. Die Burgherrin wollte schließlich etwas Licht haben, um die Laute zu schlagen oder die Socken ihres Galans zu stopfen.
Die Blicke des Betrachters zieht unweigerlich der auf der Nordseite platzierte Wohn- und Wachturm auf sich. Von Norden – der einzigen Schwachstelle und daher der mögliche Angriffspunkt – führt ein enger, ziemlich steiler Pfad zur Burg empor. Der im historischen Burgenjargon Bergfried oder Belfried genannte Turm hat 5 Stockwerke, ist 16 Meter hoch – und seine Mauern sage und schreibe zwei Meter dick. Die unteren Geschosse wurden Anfang des 14. Jahrhunderts hochgezogen und mit Gewölben versehen. Die Obergeschosse stammen aus der Zeit der Spätgotik – und hatten Balkendecken. Die Fenster sind denn auch nach grazilem, gotischem Gusto mit geometrisch verflochtenen Maßwerk-Mustern verziert.
Als Bauherrn der Burg Stockenfels gelten zwei illustre Mitglieder, der in Bayern herrschenden Dynastie der Wittelsbacher: Herzog Ludwig der Strenge und sein Sohn Herzog Ludwig IV., der später als Kaiser Ludwig der Bayer europäische Geschichte schrieb. Der bayrische Kaiser Ludwig stiftete eine eigene Kapelle – und soweit man weiß – ging er in den umliegenden Wäldern mit großem Gefolge und fröhlichem Halali auf die Jagd. Wie so oft durchlebte die Burg Stockenfels danach eine – wie heißt es so schön verharmlosend – wechselhafte Geschichte. Die Burg hatte alle möglichen (und unmöglichen) Herrn, darunter das übelbeleumdete Patriziergeschlecht der Auer. Wüste Gesellen, die der eigenen Heimatstadt Regensburg den Fehdehandschuh hinwarfen. Weitere ebenso rauflustige wie raublustige Burgbesitzer sollten folgen. Da war der Ritter Georg Heuras von Satzdorf: als tapferer Kämpfer gegen die Hussiten – böhmische Banden, die um 1420 bis 1440 immer wieder marodierend und brandschatzend durch die Oberpfalz und den bayrischen Wald zogen – ein echter Held, betätigte sich der „Heuras“ später auch als Bandit. Sein Sohn Heimeram trieb es noch ärger. Er war so etwas wie ein mittelalterlicher „Mafia-Padrone“. Er schickte ein ganzes Rudel von Strauchrittern auf Raubzug – und kassierte selbst einen Teil der Beute ein. Sein „Nachfolger im Amt“ war ein landauf, landab berüchtigter Spitzbube: Hans Thanhauser von Fischbach entdeckte ein neues Geschäftsmodell. Auf seinen Streifzügen nahm er Geiseln, um von ihnen Lösegeld zu erpressen. Einige Wochen im feuchten Kerker genügten meist, dass selbst der geizigste Pfeffersack einen Beutel voll Gulden und Talern für seine Freilassung springen ließ. Der letzte in der Reihe der Tunichtgute und Totschläger war ein gewisser Kunz Schott von Schottenstein. Dieser wilde Geselle wurde ob seiner Untaten im Fränkischen auf dem Richtblock enthauptet – seine Spießgesellen baumelten derweil am Strick. Es war schließlich ein Vorrecht des Adels – mochte er noch so diebisch, raubgierig und mordlustig sein – eines „ehrbaren Todes“ zu sterben. Der letzte ständige Bewohner der Burg war – Ironie der Geschichte – Mitte des 19. Jahrhunderts ein Verrückter, der zwar nicht mehr auf Raubzug ging, die Vorbeikommenden aber mit Steinen bewarf und wüste beschimpfte – er endete übrigens standesgemäß im Irrenhaus.
Den besonderen Reiz des Raubritternests macht jedoch dessen Ruf als veritables Spukschloss und Geisterbehausung aus. Insbesondere geriet Stockenfels als Verbannungsort für Bierpanscher – in Bayern neben Mord und Brandschatzung einer der schlimmsten Verbrechen – in Verruf. Die Sage weiß zu berichten, dass hier allmitternächtlich um die Geisterstunde all die Brauer, Wirte und Wirtinnen, Kellner und Kellnerinnen ihre Verfehlungen abbüßen müssen. Hatten Sie doch das Bier mit Wasser gestreckt – und so im wahrsten Sinne den Hopfensaft verwässert. Eine Untat, die noch posthum gesühnt werden muss. Unten im Keller hockt einer der Dämonen und schöpft unaufhörlich Wasser in Eimer. Auf die Missetäter wartet eine typische Sisyphus-Arbeit. Die Verfluchten schleppen die Eimer voller Wasser über steile Treppen und Leitern bis ganz oben. Dort hockt ein gehässig grinsender, bocksfüßiger Teufel und kippt den Inhalt der Eimer über die Brüstung hinab. Auf Erlösung von ihrem Geisterdasein können die Hopfen-Zombies nur hoffen, wenn sie ihre Schuld Eimer für Eimer abgetragen haben. Es ist evident: beim Bier hört sich in Bayern der Spaß auf.
Dinesh Bauer
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P.S: Burg Stockenfels hat übrigens einen Kastellan, der Burgführungen und Geisterwanderungen organisiert: Franz Joseph Vohburger, Tel. 09471/5980 oder 0171/9567153, Mail: derkastelan@web.de , Fax: 09471/807028.