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1919 in Schäftlarn, 1919 in Starnberg, April 1919, bayerische Revolution, Freikorps, Hohenschäftlarn, Kloster Schäftlarn, Münchner Matrosen, Münchner Räterepublik, Rote Armee in Bayern, Rudolf Eglhofer, Spartakisten in Bayern, standrechtliche Erschießung, Starnberger Revolutionsrat, Zeller Friedhof
Es ist ein immerzu wiederkehrendes Motiv der Geschichte: Der Revolution folgt die rechte Reaktion. Und die Roten ziehen am Ende den schwarzen Peter. Nicht nur in Paris, Berlin oder Wien, sondern auch in Starnberg oder Schäftlarn. Aber der chronologischen Reihe nach: Im November 1918 endet der erste Weltkrieg mit der Niederlage der Achsenmächte. Das Deutsche Kaiserreich kollabiert, Wilhelm II. wird zur Abdankung gezwungen. Der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung führt zu einer Kettenreaktion: die Republik wird ausgerufen – erst in München, kurz darauf in Berlin. Die eigentlichen Herrscher, die reaktionäre Clique um die Generäle Ludendorff und Hindenburg, haben ihren Nachfolgern einen Scherbenhaufen hinterlassen. Der Krieg ist verloren, die wirtschaftliche Lage desaströs, die Menschen hungern, das Chaos perfekt. Die erste revolutionäre Begeisterung ist daher rasch verflogen, die Verfechter der „alten Ordnung“ bekommen wieder Oberwasser. National gesinnte Umstürzler finden sich in paramilitärischen Einheiten, den sogenannten Freikorps zusammen und schmieden unverhohlen Putschpläne. Die SPD-Regierung paktiert mit der Reichswehr-Führung und lässt den rechten Truppenverbänden freie Hand.
Um die „Volksherrschaft“ zu retten, läuten daher im April 1919 anarchistische, spartakistische und orthodox-kommunistische Gruppen die zweite Phase der Revolution ein – in München entsteht nach Sowjet-Muster die zweite Räterepublik.
Die Ereignisse in München befeuern die revolutionären Aktivitäten im Oberland, An vielen Orten wird eine Räterepublik proklamiert, so in Freising oder vor allem in Rosenheim. Am 7. April wird auch ein gewisser Karl Schleussinger, ein angehender Beamter, aktiv. Zusammen mit rund 30 Mitstreitern gründet er in Starnberg einen revolutionären Arbeiterrat. Paradoxerweise findet die Zusammenkunft im Hotel „Deutscher Kaiser“ statt. Auf Anordnung der Starnberger Räte werden zur Feier des Tages die Kirchenglocken geläutet. So ganz klar, scheint den Möchtegern-Revolutionären am Starnberger See der Ernst der Lage nicht gewesen zu sein. So beschließt die neue „Regierung“ die Kaiser-Wilhelm-Straße in Kurt-Eisner-Straße umzubenennen und ordnet restriktive Maßnahmen in den gastronomischen Betrieben an, so wird der Ausschank von Milchkaffee verboten. Die teils widersinnigen Erlasse, sorgen dafür, dass der „Rat“ bei den meisten Einwohnern bald in Misskredit gerät. Der Starnberger Revolutionsrat kann sich nur an der Macht halten, weil er im Windschatten der Münchner Räterepublik segelt.
Während reguläre Reichswehr-Einheiten und Freikorps-Truppen von Westen und Norden anrücken, um den Spuk zu beenden und Bayern „zu säubern“, lassen auch die Münchner Revolutionäre die Muskeln spielen. Unter Führung von Hans Kain, Sekretär der bayerischen KPD, besetzt ein von Wolfratshausen heran marschierendes Kommando am 17. April strategisch wichtige Punkte. Die „Münchner Matrosen“, wie die Rotgardisten genannt werden, quartieren sich im „Bayerischen Hof“ ein und richten ein Maschinengewehr auf den Starnberger Bahnhof. Nur für den Fall der Fälle. Anstatt entschlossene Maßnahmen gegen den bevorstehenden Angriff der „Regierungstruppen“ zu ergreifen, erschöpft sich ihr revolutionärer Elan weitgehend darin, die Namen von Königen und Kaisern aus dem Straßenbild zu tilgen und die Weinvorräte und Obstkonserven der Gutsbesitzer in der Umgebung der Stadt zu requirieren, wobei man die „leeren Einmachgläser selbstverständlich den Eigentümern zurückgab.“ Das alles erinnert eher an eine Provinz-Posse denn an ein Revolutions-Drama.
Einer erkennt immerhin das Gebot der Stunde: Rudolf Eglhofer, ehemaliger
Matrose und charismatischer Anführer der neu gegründeten Roten Armee, die sich hauptsächlich aus Arbeitern und abgemusterten Soldaten rekrutiert. Ab dem 20. April lässt er rings um München provisorische Verteidigungsstellungen anlegen: so in Pöcking, Berg oder Schäftlarn. Am 28. April kommt es in Tutzing zu ersten Scharmützeln. Tags darauf besetzen die „weißen“ Truppen Starnberg. Über die Zahl der Toten herrscht Unklarheit: Um die 30 „Spartakisten“ starben in Starnberg – einige fielen im Kampf, die meisten aber wurden standrechtlich erschossen und in einem Massengrab verscharrt, Wo sich dieses befindet, ist bis heute unbekannt.
Knapp zehn Kilometer entfernt, in Hohenschäftlarn, wurde mit den neun am 30. April gefangenen Spartakisten gleichfalls kurzer Prozess gemacht. Nach dem „Urteilsspruch“ werden die Männer vom Gendarmerieposten zu einer Kiesgrube eskortiert und dort füsiliert. Ihre sterblichen Überreste werden oben am Zeller Friedhof – nahe dem Durchgang zum Marxnhof – in eine hastig ausgehobene Grube geworfen. Dem standesamtlichen Register ist zu entnehmen, dass die Toten samt und sonders junge Männer aus München wahren, Bäcker, Kutscher, Arbeiter, die meisten davon ledig. Als Grund für die Exekution der „roten Aufständler“ wird folgendes vermerkt: Widerstand gegen Regierungstruppen mit der Waffe. Doch hören wir erst das Vorspiel: Am 22. April wird auch in Kloster Schäftlarn Revolution gemacht. Ein Trupp Bewaffneter springt von den Lastwagen, baut bei der Klosterwirtschaft ein Maschinengewehr auf und richtet die Mündung drohend auf die Pforte der Abtei. Die Spartakisten vermuten, dass sich in den Gebäuden des Klosters ein Waffenversteck befindet – und verlangen Abt Sigisbert I. Liebert zu sprechen. Bei den „Besatzern“ handelt es sich um eine Gruppe von 20 bis 30 Spartakisten. Die Eindringlinge gehen penibel zu Werk: „Sie suchten im Bett und unterhalb desselben, in Nachtkästchen und Schubladen“, notiert Pater Augustin Ulrich in sein Tagebuch. Nachdem Sie jedoch trotz intensiver Suche – außer einem alten Gewehr, einem Säbel und einer Spielzeugpistole – keine Waffen finden, ziehen sie unverrichteter Dinge, aber mit einem Laib Brot aus der Klosterbäckerei versorgt, wieder ab. Doch schon am Abend des 26. April fahren erneut zwei Lastwagen vor – „beladen mit 50 Kommunisten, angeführt von einem Maurerlehrling aus Straßlach“.
Ein Großteil der Spartakisten bezieht in den Nachbardörfern Stellung, elf Volksverteidiger quartierten sich im Kloster selbst ein und ließen es sich, wie es in der Chronik heißt, „bei Brotzeit und Bier“ wohl sein. Doch in der Nacht des 29. April findet das Idyll ein abruptes Ende. Die ersten Soldaten rücken heran, um das Kloster zu räumen. Der Führer des Trupps läutet an der Pforte und erkundigt sich nach dem Verbleib der Aufrührer. Bei der anschließenden Schießerei kommt der forsche Unteroffizier ums Leben. Sein Name: Friedrich Münchinger, 20 Jahre aus Kirchheim, von Beruf Landwirt. Das Grab des württembergischen Unteroffiziers liegt gleich neben dem Eingang zur Klosterkirche – und wird bis heute von den Klosterbrüdern gepflegt. Die anderen „Weißgardisten“ ziehen sich eilends zurück, um Verstärkung zu holen. Angesichts der Übermacht, zeigen sich die Spartakisten nun verhandlungsbereit. Doch „plötzlich schlagen Geschosse eines Maschinengewehrs ein, einige Handgranaten explodieren im Vorraum der Pforte.“ Die elf „Roten“ kapitulieren, werden verhaftet und abgeführt. Die Nacht verbringen sie auf der Gendarmeriestation – die heutige Adresse: Unterdorf 17. Im „Tagebuch der Expositur Hohenschäftlarn“ heißt es lakonisch: „Am anderen Tag ist seitens der Offiziere ein Feldgericht gebildet worden.“ Von den elf Gefangenen wurden zwei freigesprochen. Denn, so der Bericht „ihre Schuld konnte nicht erwiesen werden.“ Das Urteil wurde umgehend in einer nahe gelegenen Kiesgrube vollstreckt – von „einem Exkursionskommando unterm Befehl eines Leutnants“. Schon wenige Tage später, am 3. Mai, ist die Münchner Räterepublik endgültig Geschichte.
Dinesh Bauer
P.S: Interessiert? Von mir sind mehrere Bayern-Krimis vor regionalem, historischen Hintergrund erschienen. Sie finden mich in der Buchhandlung ums Eck oder in den Online-Shops.