Kennt ihr die Venedigermandl? Nein? Mysteriöse, zwergenhafte Gestalten, die aus dem Nichts auftauchten und ihrem Tagwerk unter Tage nachgingen? Bergleute von gnomenhaften Wuchs und fremdartigen Aussehen. Über Sie berichten zahlreiche Sagen und märchenhafte Geschichten. In ihnen werden die fremdartigen Stollengräber und Schatzsucher als Venediger, Wahlen, Welsche oder Vennizianer bezeichnet. Die im Dienste der Serenissima stehenden Kumpel scheinen erstmals in Quellen des 14. Jahrhunderts auf. Heute gehen die Forscher davon aus, dass die „Mandl“ nach seltenen Mineralien wie Kobalt oder Braunstein gruben, die die venezianischen Glasmanufakturen auf Murano zur Herstellung von Luxusgläsern, insbesondere blau gefärbter Schalen und Pokale, händeringend benötigt wurden.
Vom gemeinen Volk wurden die seltsamen Gesellen jedoch meist für Goldgräber gehalten. Ihre fremd und verlockend klingende Sprache sowie die Aura des Geheimnisvollen, ließen um die „Berggeister“ eine Fülle von Sagen ranken. In diesen wurden den Wahlen magische Eigenschaften unterstellt. Die Zwerge aus den Bergen galten als zauberkundige und geisterhafte Gestalten, die über ein geheimes, hermetisches Wissen verfügten.
Die Bezeichnung „Walen“ leitet sich von Welschen ab, also Menschen, die eine romanische Sprache sprechen. Der Ausdruck „Venediger“ bezieht sich auf die Lagunenstadt Venedig, ein Zentrum der Gold- und Silberschmiedekunst, der Edelsteinschleifer und Glasbläser. Im süddeutschen Raum werden die kleinwüchsigen Erz-Prospektoren in die Nähe der Bergmännchen und Kobolde gerückt und mit Bezeichnungen wie Venedigermandl oder Mandl etikettiert.
Georgius Agricola erwähnt die venezianischen Goldschürfer in seinem um 1550 erschienen Werk „De re metallica“. Der humanistische Gelehrte hält die „Wahlen“ – wie die meisten Menschen nördlich der Alpen – irrtümlich für Goldsucher. Diesen Trugschluss korrigiert allerdings bereits 1574 Lazarus Ercker, seines Zeichens Oberbergmeister des Königreichs Böhmen, in seinem Kommentar zu Agricolas Konvolut: „So viel hab ich aber von glaubwirdigen Personen, die von solchen Landfahrern berichtet worden, daß solche Körner gar kein Gold bey sich haben, werd auch keinß darauß gemacht, sondern durch sie, die Landfahrer, in Italien und anderen Orten umb einen Lohn hingetragen, als zu einem Zusatz, darauß schöne Farben oder Schmeltz-Glaß gemacht werden. Welche Farben und Schmeltz-Glas man bey jhnen so hoch achte, und so Tewer verkauffe, als wenn es Gold wäre.“ Statt Gold ging es also um seltenes Erz.
Die Erinnerung an die Walen blieb in der Bevölkerung der Alpenregionen über Jahrhunderte lebendig. Die Autoren sahen in den „landläufigen Savoyarden“ bis ins 19. Jahrhundert hinein ausländische Hausierer, die in Wahrheit nach Erzadern, nach Edelsteinen und Mineralien Ausschau hielten. Es gibt Hinweise, dass italienische Glücksritter noch bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts die Alpen überquert haben, ehe der kommerzielle Bergbau den „Venedigern“ die Existenzgrundlage entzog.
Dinesh Bauer
Sie wollen mehr von mir lesen. Meine Alpen-Krimis finden Sie im Buchhandel oder in den Book-Shops im Internet, zum Beispiel auf Bücher.de!
http://www.buecher.de/shop/bayern/toter-winkel/bauer-dinesh/products_products/detail/prod_id/42702192
Sagenhafte Sachen:
In Unterammergau kennen heute noch einige alte Leute die Sage um das Venedigermandl. Ein Zwerg, welcher jedes Frühjahr in den Bergen, speziell dem Hörnle, nach Gold suchte. Zwerge sind ja dafür bekannt dass sie die Hüter verborgener Schätze sind. Auf jeden Fall wollte das Venedigermandl bei seinem letzten Besuch den Bauersleuten, die ihm Unterkunft gewährt hatten, den Fundort des Goldes zeigen. Doch die biederen, abergläubischen Bauern trauten dem unheimlichen Männlein mit welchem Zungenschlag und Zauselbart nicht recht über den Weg – und so zog der Zwerg achselzuckend seines Wegs. Und ward von da an nie mehr im oberen Tal der Ammer gesehen.
Die landfremden Venediger treten in den Sagen meist als Einzelgänger auf, aber auch in kleinen Gruppen, oft zu dritt, die bei Einheimischen um Quartier bitten oder ihnen zufällig in den Bergen begegnen. Sie tauchen überraschend auf und verschwinden auch schnell wieder, kommen dann aber oft viele Jahre hintereinander zurück. Auch ihr Äußeres wirkt fremdartig: sie werden als klein und dunkelhaarig geschildert. Sie werden als kenntnisreich, freundlich und dankbar geschildert, aber auch als verschwiegen und geheimniskrämerisch. In den Sagen spiegelt sich die Bewunderung für ihre bergmännischen Fähigkeiten. Denn ihr „Finderglück“ verdanken die Venediger ihren überragenden Kenntnissen in der Bergbaukunst. Manchmal werden ihnen magische Fähigkeiten zugeschrieben: so können Sie sich unsichtbar machen, wenn sie bei ihrem unterweltlichen Treiben behelligt werden. Ja Sie können sich mit Hilfe von „Flugtüchern“ in die Lüfte erheben. Ihre Fähigkeit durchs Gestein ins Innere des Bergs zu blicken, verdanken Sie dem Verzehr des Fleisches einer weißen Schlange, dem „Otterkönig“.
Schauen wir uns zwei dieser sagenhaften Geschichten genauer an:
Das Venedigermandl
So lange ist es noch nicht her. Der Großvater meines Großvaters ist ihm noch begegnet. Alle Sommer kam ein „wallisches Lötterle“, quartierte sich auf der Mellitz ein und suchte ungesehen in der Firschnitz und im Ledraun nach Gold. Dazu hatte es einen geheimnisvollen Spiegel im Rucksack, der ihm mit Hilfe der Sonnenstrahlen die Goldminen anzeigte. Beim ersten Absuchen der Virger Berge soll das Mandl laut vor sich hingesungen haben: „Du reicher Berg, du armes Tal, zu wenig Futter überall. Aber zwischen Wun und Ochsenbug, Gibt’s Gold und Silber viel genug.“ So recht glauben wollte dem Mandl niemand. Als Jäger und Hirten dem Goldsucher, der meist kurz nach Mitternacht sein Lager verließ, nachschlichen, verloren sie allemal seine Spur. Auch den großen Rucksack, mit dem das Venedigermandl allsommerlich Virgen verließ, hielt er immer in einem Versteck. Steinesucher, die zwischen Wun und Ochsenbug selbst heimlich nach Gold suchten, brachten nur Kristalle und „Katzengold“ heim. Gold haben sie keines gefunden und Virgen blieb ein armes Tal.
Venedigermandl II
So trug es sich zu, dass alljährlich um die Zeit der Heumahd ein solches Männlein in der Schusteralm in Raneburg Rast hielt und Imbiss nahm. Das Männlein trug eine kleine Waage und ein leeres Säckchen über der Schulter. Die neugierigen Leute vertröstete er: „Auf dem Rückwege werde ich´s euch sagen“. Der Zwerg blieb auch nie länger als zwei Stunden aus, dann legte er jedes Mal ein Goldstücklein in die Hand der Sennerin oder des Hirten, dabei schwieg er wie ein Grab. So ging es 10 Jahre. Sennin und Senner waren inzwischen alt aber beinahe reich geworden, niemandem erzählten sie etwas. Veit, der Hirte, wollte nun eigenen Grund kaufen und schlug der Sennin vor: „Werd´mein Weib! Wenn Du nit willst, teilen wir das Gold“. Die Sennin entschied sich für Teilung und setzte sich zur Ruhe, den Hirten aber hatte der Geiz gepackt und er trachtete allein nach Reichtum. Er verblieb beim Bauern und als zum neuen Jahr das Männlein wieder kam, schlich er ihm nach dem Essen nach. Sie kamen zum grünen See, in dessen Nähe unter einem Steinblock eine Quelle sprudelte. Hinter einem Felsen beobachtete er, was geschah. Das Männlein tauchte seinen Hut als Schöpfgefäß in das Wasser, ließ es abrinnen und füllte den Bodensatz immer wieder in das Säckchen. Zuletzt hing es die Ausbeute an die Waage, lächelte zufrieden und ging bergab. Der Hirte bekam es mit der Angst zu tun und beschloss erst recht, niemandem dieses seltsame Erlebnis zu erzählen. Bald darauf starb die alte Sennin. Veit nahm seinen Anteil, und im Schein des Mondes schritt er rasch bergauf, er wollte das Gold dem Tümpel zurückgeben, so ungeheuer war ihm alles. Im Widerschein des Wassers lockte das Metall aber so verführerisch, dass er beschloss, es doch zu behalten und fortzuziehen. Die schwere Arbeit am Hof jedenfalls wollte er anderen überlassen. Der Bauer hatte einen anderen Hirten angestellt, und als die Zeit gekommen war, erschien auch das Männlein wieder. Es wurde ihm wie immer Rast und Speise geboten. Danach nahm der Zwerg den Bauer zur Seite: „Willst du ein reicher Mann werden, dann komme und folge mir, ich zeige dir einen Schatz, wovon du einen Tag in diesem Monate einen Teil haben kannst und so jedes wiederkehrende Jahr. Ich bedarf seiner nicht mehr; mit ihm sind Häuser und Paläste in das Meer gebaut worden, die Lagunen-Stadt dankt viel Herrlichkeit dem Schatze auf deiner Alpenflur“. Der Bauer erschrak, er dachte an einen Hexenmeister, der auch das nahende Unwetter hergezaubert hatte und jagte ihn fort: „Geh deinen Weg, mir ist mein Heu lieber als dein Schatz“! Darauf verschwand der Zwerg und ward nie mehr gesehen.