Schlagwörter
1832, 1836, Abschied von Bayern, bayrisch-tirolerische Grenze, König Otto, Kiefersfelden, Kufstein, Ludwig der Erste, neugotische Kirche, Ohlmüller, Ottokapelle, Saalkirche, Thierberg
Es ist der 7. Dezember 1832, früh am Morgen. Eine Staatskarosse rumpelt von Kiefersfelden kommend am Inn entlang. An Bord befindet sich der erwählte König der Hellenen, Prinz Otto von Bayern. Er döst vor sich hin – und schläft schließlich ein. Der zweite Sohn König Ludwigs I. erwacht erst als die Kutsche Station in Kufstein macht. Der junge, 17-Jährige Prinz ist außer sich, dass er sich nicht gebührend von seiner bayrischen Heimat verabschiedet hat und lässt das Gefährt wenden. An der Grenze angekommen, befiehlt er dem Kutscher zu halten. Von patriotischen Gefühlen übermannt, bricht Otto in bittere Tränen aus. Weiß er doch, dass er Bayern, sein geliebtes Heimatland, so schnell nicht wiedersehen wird. Ein tränenreicher Abschied, der nicht so schnell vergessen ward.
Genau an jener Stelle, an der Otto – in Begleitung seines älteren Bruders Maximilian – die Grenze überschritt, wird am Fuß des Thierbergs eine Kapelle erbaut. Finanziert wird das Ganze aus Spenden und Geschenken, die aus dem gesamten Königreich eingehen. Am 1. Juni 1834 – dem 19. Geburtstag Ottos – wird im Rahmen einer Feierstunde der Grundstein gelegt. Am 19. Juni 1836 ist es soweit: die Kapelle wird von Erzbischof Anselm von Gebsattel in Anwesenheit Ottos, inzwischen König von Griechenland und Erbprinz Maximilians geweiht. Sein Vater König Ludwig hatte das Projekt vorangetrieben und aus verschiedenen architektonischen Entwürfen, den neugotischen des königlichen Bauinspektors Joseph Ohlmüller ausgewählt. Ein kleines Juwel, das unbeachtet vom tagein, tagaus vorbeirauschenden Transitverkehr, in eine Art Dornröschenschlaf verfallen ist.
Das Fundament der eigentlichen, aus Sandstein gemauerten Saalkirche bildet eine oberirdische Krypta. Der Zugang erfolgt über eine repräsentative Freitreppe. Der neugotische Bau zählt drei Joche. Am Ende der klassizistischen Epoche errichtet, ist die Gedenkkapelle eines der ersten Zeugnisse neugotischer Baukunst in Bayern. Das Innere der Kirche ist von „mittelalterlicher“ Strenge und Schlichtheit. Das Triptychon am Altar ist Programm. Der heilige Otto soll zusammen mit Ludwig dem Heiligen und Theresa von Avila, den Namenspatronen von Vater und Mutter, den jungen König Otto vor drohendem Unbill schützen – und göttlichen Segen für seine Regentschaft in Griechenland erflehen.
Am 2. Juni 2013 wurde die Otto-Kapelle in Folge eines Hangrutsches und umstürzender Bäume erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Doch der Heilige Otto half. Das Staatliche Bauamt Rosenheim investierte 100.000 Euro in die Sanierung des baufälligen Gebäudes. Grundlage für die durchgeführten Restaurisierungsarbeiten waren die Baupläne von 1834 und Tuschezeichnungen des königlichen Landbauamts Weilheim aus dem Jahr 1886. Eine besondere Herausforderung stellte die originalgetreue Rekonstruktion der Kreuzblume auf der Turmspitze dar. Ein Team ortsansässiger Steinmetzen fertigte schließlich eine Replik aus farblich passendem Sandstein.
Dinesh Bauer