Der Watzmann. Um seinen Gipfel jagen Nebelschwaden. Groß und mächtig, schicksalsträchtig. Der markante Berg im Berchtesgadener Land ist nicht nur unter Alpinisten eine feste Größe. Seit dem Konzeptalbum „Der Watzmann ruft“ genießt der 2700 Meter hohe Eisriese Kultstatus. Nur einen Steinwurf von Schründen, Schrägen und Scharten entfernt blühen indes tropische Orchideen. Orchideen in Sichtweite des Watzmanns? Verantwortlich für dieses Wunder ist ein passionierter Gärtner: Giselher Cramer. Wer seine Gewächshäuser betritt, lässt die raue bayerische Bergnatur hinter sich und betritt einen tropischen Garten Eden. Eine blühende „Allpracht“ leuchtet mir in rosa, purpurrot, violett, weiß und gelb entgegen. Die Orchideen sind wahrhafte Paradiespflanzen, die himmlische Duftmarken setzen. Ich bin schier erschlagen von der Vielfalt symmetrischer Formen, der Fülle poppiger Farben, dem harmonischen Ganzen ihrer Erscheinung. Die unbändige Leuchtkraft, die bunt getüpfelte Palette ihrer Blütenblätter lassen die „Wundertüten“ als Boten des ewigen Sommers erscheinen.
Orchideen tragen prächtige Pantinen. Zumindest manche Arten. Cramer züchtet und kultiviert seit 40 Jahren Orchideen und hat rund 2500 Kreuzungen auf dem „Kerbholz“. Eine seiner ersten Züchtungen benannte er nach seinem Vater „Gerd Cramer“, andere Familienangehörige wie Sohn Alexander folgten. Und auch der Berchtesgadener Landrat Georg Grabner bekam zu seinem sechzigsten Geburtstag eine von Cramer designte Orchidee geschenkt.
Und er findet immer noch etwas Neues, etwas Interessantes für seine „Kollektion“. Der Züchter kennt all seine „Schützlinge“ beim korrekten lateinischen Namen – von Paphiopedilum pinocchio über Dactyloriza purpurella bis Phalaenopsis Bischofswiesen. Ich bin schon froh, dass ich die gängigsten Gattungen am Blütenmarkt im Kopf behalten habe: Cattleya, Phalaenopsis, Vanda und Paphiopedilum, die Frauenschuhfraktion. Insgesamt wachsen um die 800 Orchideenarten unter den Glasdächern seiner Gärtnerei. Weltweit sind rund 30.000 Naturformen bekannt, die mit Abstand meisten davon als Epiphyten in den tropischen Wäldern Asiens oder Südamerikas.
Doch es gibt auch farbenprächtige Arten wie Cymbidium oder Dendrobium nobile die kühlere Gefilde und Felsspalten bevorzugen. Bei uns in Deutschland sind immerhin 60 Arten heimisch – 40 davon im Berchtesgadener Land. Die Zahl der von Gärtnerhand gezüchteten Hybriden weiß nicht einmal ein Crack wie Cramer zu beziffern.
Von der Paprika zur Phalaenopsis
„Weshalb ich zu den Orchideen gekommen bin?“ Cramers Stimme klingt amüsiert: “Eigentlich ganz profan. 1972 habe ich meinen Meister gemacht – und habe überlegt, wie ich mich von den anderen Gärtnereien abzusetzen. Wir waren ja nur ein kleiner Betrieb. Mein Vater hat nach dem Krieg mit Gemüse angefangen, später kamen dann Topfpflanzen und Schnittblumen hinzu. Also was tue ich? Ich hab damals in Berlin gearbeitet – und da hatten wir drei Tische mit Orchideen.
Davon habe ich 40 Stück in meine alten Karren gepackt und bin zurück ins Berchtesgadener Land getuckert. Am Anfang war das also keine Liebhaberei, sondern der Gedanke etwas zu haben, was in den anderen fünf Gärtnereien, die es hier damals noch gegeben hat, fehlt.“ Doch die Infektion mit dem Orchideen-Bazillus war unausweichlich: „1975 waren wir für drei Tage beim Weltorchideenkongress in Frankfurt – und da hat es mich dann „erwischt“. Ab dem Zeitpunkt sind wir dann auch regelmäßig jedes Jahr einmal quer durch Deutschland gefahren und haben uns Orchideengärtnereien angeschaut – und haben eingekauft. Das Geld, das wir mit den Geranien verdient haben, haben wir für Orchideen ausgegeben.“
Der eigentliche Boom kam jedoch erst Ende der 70 er Jahre, rekapituliert Cramer. „1978 war am Nockherberg eine Orchideen-Ausstellung. Da haben wir uns gesagt– da stellen wir jetzt einfach mal unsere erste eigene Kreuzung aus. Und die Resonanz der Züchter war: Uiih, was habt’s denn ihr da Schönes!“ Phalaenopsis-Kreuzungen wurden daraufhin sukzessive zur „Spezialität des Hauses“: „Als erstes bestimmt man die Auswahlkriterien. Also was will ich? Kleinere oder größere Blätter in welcher Farbe, dann der Aufbau der Rispe, will ich Topfpflanzen oder Schnittblumen? Dann geht man her und sucht aus Hunderten von möglichen Mutterpflanzen die zwei vermeintlich besten, schönsten heraus – und die vermehrt man.“
Beim Züchten kam Cramer seine Imaginationskraft zu Gute: „ Ich hab vielleicht so einen Art siebten Sinn, wo ich hinmöchte. Und eine Gabe zu erkennen, welches Exemplar sich als Mutterpflanze eignet und welche nicht. Dadurch, dass ich sie quasi von klein auf gezogen habe, habe ich ein relativ gutes Gespür entwickelt, welche Pflanze schneller wächst und früher zum blühen kommt. Und die habe ich mir dann schon mal zur Seite gelegt.“ Die Selektion der Jungpflanzen bestimmt ganz wesentlich den Erfolg einer Neuzüchtung. „Ich hab mich immer gefragt: Warum hat die stabilere Blätter? Warum blühen die einen früher? Weshalb ist der Aufbau harmonischer? Also das Gute bleibt im Stall – dann kann ich weiter kreuzen.“
Vom Luxusgeschöpf zur Massenware
Dabei ist die Vermehrung und Kreuzung von Orchideen nicht so einfach, denn in der Natur brauchen sie spezielle Pilze um zu wachsen. Cramer nennt als griffiges Beispiel die heimischen Orchideen: „Frauenschuh oder Knabenkraut wachsen normal auf einer Wiese. Dann kommt ein Bauer daher und verspritzt seinen Odel. Und was passiert? Wo gedüngt wird, verschwindet der Pilz – und mit ihm die ganze Population. Deswegen sind geschützte Flächen wie hier im Nationalpark so wichtig.“ Wenn die Vermehrung so komplex und kompliziert ist, warum gibt es dann heute im Baumarkt blühende Orchideen im Topf für 4,99 Euro en Masse zu kaufen?
Cramer lacht grimmig: „Nun man hat herausgefunden, dass sich exotische Arten beispielsweise der Gattung Phalaenopsis in beliebiger Anzahl im Labor reproduzieren lassen. entweder über Sämlinge, immer mehr aber auch durch Meristeme, also Klone der Mutterpflanze. So kann ich im Labor relativ einfach Hundert aber auch Hunderttausend Stück industriell produzieren. Also wenn ich eine toll blühende Orchidee hab, schicke ich die ins Labor und sag: mach mir fünftausend Stück davon. Früher war die Nachzucht viel mühsamer und aufwändiger – und deshalb auch die Preise viel höher.“ Als Herrscher über ein vielköpfiges „Blütenreich“ hat Cramer natürlich auch besondere „Günstlinge“ unter seinen Fittichen: „In meinen Anfangszeiten waren die Phalaenopsis eindeutig meine Favoriten – und da wiederum die mit kleinen Blüten und die Nachzucht von Naturformen.
In den 80er Jahren waren wir sicher die führende Gärtnerei bei kleinblütigen Hybriden. Ich hatte aber nie den Ehrgeiz in die Massenproduktion einzusteigen. Vielmehr hat mich gereizt, etwas Schönes zu schaffen, dass auch bei anderen Orchideen-Liebhaber Anerkennung, ja Begeisterung findet. Heute hat sich das Bild komplett verändert – und die Züchtungen kommen heute hauptsächlich aus Taiwan, aber auch aus Deutschland und Holland. Und das wird alles in gigantischen Stückzahlen auf den Markt geworfen. Allein aus dem größte Labor in Lippstadt kommen jedes Jahr 70 Millionen Pflanzen.“ Die Massenfertigung von Orchideen – vor allem die Phalaenopsis – hat für Cramer dazu geführt, dass diese ihren Nimbus verloren haben – was er persönlich schade findet: „Die ist wirklich zur Wegwerfwarfe verkommen, die irgendwo neben der Kasse im Gartencenter vegetiert. Das hat diese wunderschöne Blume eigentlich nicht verdient.“
Cramer ist Realist – diese Entwicklung wird nicht aufzuhalten sein: „In diesen industriellen Gartenbaubetrieben wird alles automatisiert und auf Masse und Kasse hin getrimmt. Oberstes Gebot ist das schnelle Wachstum. Dies führt dazu, dass die Stabilität und Qualität der Pflanzen darunter leidet. Aber der Preis „stimmt“. Da kann man als kleiner Familienbetrieb nicht dagegen ankämpfen, da muss man sich Nischen suchen. Und Gottseidank gibt es nach wie vor Leute, die das Besondere schätzen. Ich habe immer wieder die Erfahrung, dass Menschen die alles andere als Orchideen-Experten sind, die schönsten Blüten auf Anhieb „herauspicken“ – und sich höchstens wundern, dass die nicht für 6 Euro zu haben sind.“ Und wie sieht er nun aus der typische „Frauenschuh-Freak“? „Die klassischen Blumenfreunde und Hobbygärtner. Erstaunlicherweise sind die Männer eindeutig in der Überzahl.
Unter 20 Ausstellern auf einer Orchideenschau sind 18 Männer und 2 Frauen. Auch unter den „Liebhabern“ sind mehr als die Hälfte Männer – das ist schon verblüffend.“ Und welche Orchideen sind derzeit besonders en vogue? Cramer verschränkt seine Arme und lächelt in sich hinein: „Wie überall gibt es auch hier Modeströmungen. Die letzten zwei Jahre waren vor allem Phalaenopsis-Naturformen gefragt. Das ebbt jetzt gerade wieder ab – und das Interesse verlagert sich momentan in Richtung Frauenschuhe. Aber in drei Jahren ist wieder etwas anderes In.“
Dinesh Bauer
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