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Alpen, Alpenraum, Bergdorf, bergwandern, Braunbäuren, Cembra-Tal, Erdpyramiden, Gipfel, Hiking, Lago Santo, Pyramiden, Reisetip, Südtirol, Segonzano, Trentino, Trient, Val di Cembra, Wandern, Wanderurlaub
Sentiero Piramidi
Der Pyramidenpfad biegt nach rechts in den Bergwald ein. In den Wald – und nicht in die Wüste? Bei den Pyramiden handelt es sich um die von Segonzano und nicht die von Gizeh. Ich bin also nicht in Ägypten sondern im Trentiono unterwegs. Doch die wie Pilze in die Höhe schießenden Erdpyramiden sind nicht minder spektakulär als die wuchtigen Weltwunder von Cheops& Co.
Und hier waren nicht die alten Ägypter, sondern die Natur am Werk. Wind und Wetter formten oberhalb des Dorfs Segonzano unglaubliche Kreationen, die ausschauen wie die Sandkastenburgen eines Surrealisten vom Schlage Salvador Dalis. Der Schwerkraft Hohn sprechende Türmchen, Nadelspitzen und messerscharfe, sichelförmige Erdwälle. Für die Geologen ist die Sache klar: die Erosion ist Schuld an dem Naturschauspiel. Sie schürfte, fräste und schälte die Erdpyramiden aus den von den Gletschern angelagerten, amorphen Gesteinsmaterial. Das aus Kies und Erdklumpen zusammen gebackene Konglomerat ist seit Jahrtausenden dem Wüten des Wassers relativ schutzlos ausgeliefert. Doch dort wo harte Felsbrocken als „Schutzpanzer“ fungieren, hält das weichere Material darunter den Elementen viel länger stand, als außen herum. So entstanden die hoch aufragenden Erdsäulen und Kieskegel – mit dem Felshut auf dem hohen giraffenartigen Hals. Eine der Felsen in der zweiten Pyramidengruppe hat einen besonders stattlichen napoleonesken Hut – auf. Dieser wiegt über hundert Tonnen – und wirkt als natürliches Dach, dass das darunter liegende Gesteinsgebäck vor den Unbilden der Witterung bewahrt.
Orso in Bosco
Der Piz de Agole – ist ein markanter Aussichtspunkt, hoch über dem Dorf Cembra. Von hier hat man das gesamte untere Tal des Torrente Avisio im Visier. Der Blick reicht hinüber zu den Felsgipfel der Paganella, zu den Felskämmen hinter der Pinè-Hochebene im Süden und bis zu den Ausläufern der Brenta-Gruppe im Westen. Piz de Agole bedeutet im heimischen Dialekt: Spitze des Adlers. Auf der letzten Felsklippe erhebt sich ein Kreuz mit einer gewaltigen, lebensechten Jesus-Statue. Der Heiland sieht so aus, als ob er jeden Moment seine Fesseln sprengen und vom Kreuz herabsteigen wolle. Kein leidender, demütiger sondern ein wild entschlossener Gottessohn. Doch hier geht es weder um den Messias, noch um den majestätischen Königsvogel der Lüfte. Auf dem Rückweg treffe ich am Rande einer kleinen Almsiedlung – La Maderlina – einen wettergegerbten Holzhackerbuam. Die Leute im Cembra-Tal sind fast immer freundlich – und manchmal auch leutselig und gesprächig, wenn ich, der bayrische Wandersmann, zufällig ihren Weg kreuze. So auch in diesem Fall. Der alte „Contadini“ hält in seiner Arbeit inne – und wir plaudern ein wenig. Wo ich herkomme will er wissen, er sei aus Lisignago und sei den ganzen Tag über damit beschäftigt, Stämme zu entasten und die Äste klein zuhacken. Auch wenn es heue um die 35 Grad hat meint er lachend, kann er den Winter schon im Gebein fühlen.
Ich erzähle ihm begeistert von meiner Wanderung zum Piz de Agole. Er scheint hocherfreut über meine Wegwahl. Jedenfalls grinst er wie ein Honigkuchenpferd und zieht eine Fotografie aus seiner Hosentasche. Die Aufnahme ist etwas verwackelt, die Konturen etwas verwaschen. Das Sujet aber ist eindeutig zu erkennen: ein rundliches, pelziges Wesen mit einem gewaltigen Schädel und der charakteristischen, spitzen Schnauze: ein Braunbär. Ob ich den vielleicht gesehen habe? will der freundliche ältere Herr wissen. Der „Orso“ treibe sich seit einiger Zeit hier herum – doch er habe ihn schon seit längerem nicht mehr erspäht und es könne sein, dass der junge Bär weiter gezogen sei. Dass wäre schade meint der zahnluckerte Holzfuchs mit einem breiten Grinsen. Mir hingegen rutscht das Hasenherz bis in die Hose. Attenti al cane? Attenti al orso!
Mora et labora
Mora heißt Brombeere, die Himbeere dagegen Lampone. Im Tal des Rio Molino, des Mühlbachs, oberhalb des Dörfchens Grauno, könnte sich eine ganze Sippschaft neolithischer Jäger und Sammler von den überall wild wachsenden Beeren ernähren. Ich schlage mir hemmungslos den Wanst mit den süßen Früchtchen voll – und kann mich kaum daran satt essen. Ein Wunder an natürlichen Aromen und intensivem Geschmack – zum schlemmen und genießen! Kein Vergleich mit den Beeren, die an unseren Marktständen in Pappmaché-Schalen feil geboten werden. Grauno selbst ist ein Bergdorf wie im Bilderbuch. Der alte Ortskern klebt an dem Steilhang wie ein Adlerhorst. Die gepflasterten Gässchen sind teilweise so steil, dass man separate Stufen für die Fußgänger angelegt hat. Im Winter kann man hier sicher mit dem Rodel durch die Gässchen sausen. Mein Weg führt durch wunderschönen Lärchenwald, über Hochweiden und Hochmoore hinauf zur Südtiroler Grenze und weiter zur Malga di Corno.
Unterwegs passiere ich den Weißensee – ein Feuchtbiotop, der ursprüngliche See ist so gut wie verlandet, nur noch ein paar von Schilfrohr umwucherte Tümpel lassen erahnen, dass hier einmal ein Bergweiher zum Baden lockte. Von der Alm – die auf italienisch Malga heißt – hat man einen gewaltigen Fernblick, über das Fleimser- und Fassa-Tal bis zu den Bergstöcken der Dolomiten über Canazei. Den Vordergrund beherrschen die beiden monolithischen Pyramiden des Weiß- und Schwarzhorns. Ich biege ums Eck der geduckten Alm und erlebe einen kleinen Kulturschock. Über drei Stunden sind mir lediglich drei Autos – vollgepackt mit Kind und Kegel – begegnet, die auf den Weg zu ihren jeweiligen Alm-Resorts waren. Denn auf der „italienischen“ Seite des Bergrückens trifft man kaum jemand, der per pedes unterwegs ist. Auf der „Südtiroler“ Seite wandelt sich das Bild indes schlagartig. Die Wanderameisen in ihrer grellbunten Outdoor-Kluft wuseln emsig ihres Weges. Auf den Bierbänken der Alm hocken denn auch ganze Heerscharen von Hikern und Bikern, herrscht der mir von den Münchner Hausbergen her zur genüge bekannte Bergtouri-Rummel. Bedienungen in leicht geschürzten Dirndln-Verschnitten hasten hin und her, um die durstigen und hungrigen Mäuler zu stopfen. Alles kostet das doppelte als unten im Cembra-Tal. Ich verzichte dankend auf die Speckknödelsuppe zu 8 Euro – und mache mich frohen Fußes auf den Rückweg. Der Weg ist das Ziel – und der führt mich hinab nach Grauno, ins Tal von Cembra, das dereinst einmal Zimmern hieß.
Dinesh Bauer
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