„Buhu, buhu, buhubuhu buihu“ – ja er ist wieder da. In unseren Wäldern. Der Habichtskauz alias Strix Uralensis macht den Mäusen das Leben schwer. Zumindest im Nationalpark Bayrischer Wald. Hier wurde der Kauz erfolgreich „ausgewildert“. Dass sich die majestätische Eule mit dem Schleierblick im „Woid“ sichtlich wohl fühlt zeigt den Biologen eines: das raue Bergland wird wieder zum Urwald.
Aller Anfang ist allerdings schwer. In einer Voliere mitten im dichten Mischwald sitzen fünf junge Habichtskäuze auf ihren „Kratzbäumen“ – und ahnen noch nicht, dass ihnen gleich die große Stunde schlägt. Die Stunde der Freiheit. Denn heute werden sie in selbige entlassen. Der Ort an dem für die Kauz-Kinder das Abenteuer Freiheit beginnt ist ein gottverlassener. Die Voliere duckt sich unter mächtige Buchen- und Ahornbäume am Rand einer Lichtung, auf der im Winter das Rotwild gefüttert wird. Ahornschachten heißt der Platz an dem Fuchs, Hase und Habichtskauz gute Nacht sagen. „Wir befinden uns hier im Erweiterungsgebiet des Nationalparks Bayrischer Wald, im Zwiesler Winkel. Auf rund 750 Höhenmeter, mitten im Lieblingsterrain der Käuze. In einem dichten, strukturreichen Laubwald“, erklärt mir der Leiter der Tierfreigehege im Nationalpark Dennis Müller.
Müller ist Tierarzt und kümmert sich „federführend“ um die „Mission Habichtskauz“. So begleitet er auch heute seine Schützlinge beim „Flug in die Freiheit“. Zwei Tierpfleger und drei Tiermedizin-Studentinnen im letzten Semester assistieren ihm. Denn bevor die Habichtskäuze ins Ungewisse starten, gilt es noch ein paar wissenschaftliche Daten zu dokumentieren: das grauweiße, schwarz gestrichelte Federkleid wird abgetastet, die Stärke der Brustmuskulatur untersucht und der After auf wunde Stellen abgeklopft. Und dann werden die knochigen Füße der Käuze beringt: „11340“ ruft Müller – eine der Studentinnen schreibt mit. Denn die jungen Käuze haben zwar keine Namen, aber Nummern. Damit jedes Tier klar identifiziert und sein Revierverhalten nachvollzogen werden kann. Sprich: Wo gehen die kleinen Räuber am liebsten auf Beutezug.
Bei der Prozedur packt der Tierpfleger die Racker am Kragen. Die fühlen sich sichtlich unwohl in ihrem Fell. Die Jungspunde sehen in ihren zerrupften Federkleid wie „Unglücksraben“ aus. Runde, kohlschwarze Augen lugen ängstlich umher. Doch der Habichtskauz ist alles andere als ein „armes Hascherl“. Im Gegenteil: er ist ein Raubvogel, der schnell und erbarmungslos zuschlägt. Das wissen auch die Pfleger. Sie haben dicke Lederhandschuhe übergestülpt. Die nach innen gebogenen Krallen sind messerscharf – und werden so mancher unvorsichtigen Rötel- oder Schermaus zum Verhängnis werden.
Die in Gefangenschaft ausgebrüteten und großgezogenen Käuze sind erst seit zwei Wochen in der Voliere, um sich an die Verhältnisse draußen in der Natur zu gewöhnen – bei voller Kost und Logis. Nun ist allerdings Schluss mit lustig – die Fünf müssen raus aus der Pension Waldesruh, um sich ihr Futter in Wald und Flur selbst zu suchen. Bevor es ab auf die Bäume geht, begutachtet Müller jeden einzelnen Jungvogel mit Argusaugen. Seine Einschätzung dessen physischen Zustands gibt er einer der Studentinnen zu Protokoll: „Gut entwickelt. Da fehlt sich nichts!“ „Die Eins und die Vier sind etwas kleiner und schwächer als die anderen. Wir lassen sie trotzdem fliegen – sie länger in der Voliere zu lassen, bringt nichts. Die werden schon flügge!“
Nun beginnt der Ernst des Lebens. Der Reihe nach werden die Kleinen mit aller gebotenen Vorsicht auf den Waldboden abgesetzt. Sofort breiten sie ihre Schwingen und – man hört nicht den geringsten Laut. Da ist kein hektisches Flügel schlagen, kein wildes Geflatter zu vernehmen. Eulen sind eben keine Enten oder Tauben. Wie schwerelos gleiten sie davon, um auf einem der Äste hoch oben im Geäst zu landen. Dort sitzen Sie wie kleine Könige auf ihrem Ast und schauen herab, was die Zweibeiner dort unten treiben. Nur Nummer Vier blickt etwas verdattert aus der Wäsche als er da plötzlich so verloren auf dem „Trockenen“ sitzt. Es dauert eine Weile bis er sich wie seine Brüder und Schwestern in die Lüfte erhebt und mit gravitätischer Leichtigkeit davon segelt. Nun wird das Netz der Voliere zurückgeschlagen – für die Jungvögel, die in der Anfangsphase noch Schwierigkeiten mit „Mutter Natur“ haben, bleibt das „Hotel Mama“ noch einige Tage geöffnet. Auch der Tisch wird anfangs noch gedeckt. In der Futterschale wartet ein köstlicher Happen: dicke, fette Mäuse.
Um sich ihre Leibspeise zu greifen, nähern sich die Jungjäger auf leisen Schwingen, fahren die Krallen aus und sind auch schon wieder weg. Da möchte man nicht Maus sein. Mit schnellen Flügelschlägen kurven sie im Zickzackflug durch die Zweige und steuern mit der unglaublichen Präzision geborener Flugkünstler ihren Ausguck an. Zeit sich von den „Neuen“ im Nationalpark zu verabschieden: „Die werden jetzt schon in der Dämmerung auf Jagd gehen. Denn die müssen jetzt liefern“, merkt Müller lakonisch an.
Komischer Kauz im Aufwind
„Im Nationalpark werden nur Tiere ausgewildert, die schon früher hier heimisch waren, wie der Auerhahn, der Kolkrabe oder eben der Habichtskauz“, betont Dennis Müller auf dem Rückweg zum Betriebshof in Altschönau. Für den bekennenden „Kauz-Fan“ ist die Ansiedelung der zweitgrößten Eulenart Europas eine besondere Erfolgsstory. Charakteristisch ist ihr ausgeprägter Gesichtsschleier, ein strahlenförmiger, außen dunkel gesäumter Federkranz, dass sie ein bisschen wie die Inkarnation eines weisen Indianers im Federschmuck aussehen lässt. Mit einer Größe von 60 Zentimetern, einer Flügelspannweite von 1 Meter Zwanzig und einem Gewicht von bis zu 1200 Gramm übertrifft Sie nur der Uhu an „Masse“. In den nordischen Wäldern ist die Eule mit den großen dunklen Knopfaugen und den wachsgelben Schnabel noch häufig anzutreffen. Im Böhmerwald war das „Buhu buhu“ seit Jahrzehnten verstummt.
Mitte der 70er Jahre startete der Zoologe Dr. Wolfgang Scherzinger, der „Vater der Wiederansiedelung“, jedoch ein bahnbrechendes Projekt. Aus Nachzuchten wurden über die Jahre rund 200 Jungvögel ausgewildert, mit dem Erfolg das 2014 allein im Nationalpark Bayrischer Wald 16 Brutpaare gezählt wurden. Wobei die „Dunkelziffer“ um einiges höher liegt, da nicht jede Kauz-Liaison ans Licht kommt. Kauze kennen zudem keine Grenzen – und so brüten auch auf tschechischer Seite, im Nationalpark Sumava, mehrere Paare. „Das Auswilderungsprogramm funktioniert prima“, strahlt Müller über beide Ohren. „Die frei lebende Population in den Bergen ist stabil und breitet sich nach Westen und vielleicht auch bald Richtung Süden, zur Donau hin, aus.“
Für Müller ist der Kauz ein „Naturnähezeiger“ wie es im Biologen-Jargon heißt. „Käfig auf, Tier frei – so einfach läuft das nicht“, paraphrasiert Müller den Umstand, dass viele Faktoren zusammenkommen müssen, damit eine Tierart eine „zweite Chance“ bekommt. „In den Forsten finden die Käuze keine alten, innen hohlen Bäume oder von anderen Vögeln wie Spechten gezimmerte Höhlen im Holz. Nur wenn er einen geeigneten Platz für sein Nest findet, brütet er.“ Um den Eulen das überleben zu sichern, muss natürlich das geeignete Habitat geschaffen werden. Dichte Fichtenwälder sind nicht so ihr Fall. Habichtskäuze lieben vielmehr alte Buchen-Wälder. Dort beziehen Sie als weitgehend monogam lebende „Ehepaare“ ihr eignes Revier: „Die Käuze untereinander sind auf Abstand bedacht. Das wichtigste ist allerdings ein Areal mit vielen Mäusen, ein gutes Jagdgebiet also. Denn ihr Leibgericht sind Mäuse, vor allem alle Arten von Wühlmäusen. Das ist bei einem solch großen Vogel schon verwunderlich – aber so ist es. Ein solches „Mäuseloch“ kann dazu führen, dass mehrere Paare relativ dicht nebeneinander brüten. Zwischen einzelnen Horsten liegen jedoch im Minimum zwei bis drei Kilometer“, erläutert Müller.
Doch auch die beste Planung und Vorbereitung ist kein Garant dafür, dass das „auswildern“ in der Praxis klappt. „Wir haben versucht dem Auerhuhn, dass ja so eine Art Wappentier des bayrischen Walds ist, auf die Sprünge zu helfen. Doch sein Lebensraum, der Bergmischwald, hat sich zumindest in den mittleren Zonen wohl so verändert, dass es damit nicht mehr zurechtkommt. Das hat nicht funktioniert“, räumt Müller freimütig ein. Nur um mit einem verschmitzten Lächeln zu relativieren: „Die Auerhühner gibt es nach wie vor. Nur weiter oben in den höheren Lagen im reinen Fichtenwald, dort hat es ohne unser Zutun überlebt.“ Zwei dereinst zwischen Dreisessel und Arber ansässige Raubtiere werden allerdings keine Renaissance im Bayerwald erleben: Braunbär und Wolf: „Dafür sind die Vorbehalte und Ängste bei den Menschen einfach zu stark“, gibt Müller unumwunden zu. Es wird also weder der Wolf heulen, noch der Bär steppen. Der Habichtskauz aber macht die große Flatter.
Text und Bilder: Dinesh Bauer
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