In Vino veritas, in cervisia felicitas! Das wussten schon die alten Römer. Und mit den Römern beginnt bekanntlich jede gute, geschichtsträchtige Geschichte. Als die Römer gingen, kamen die Bayern, respektive die Bajuwaren und machten aus ihrer neuen Heimat ein hopfenhaltiges Gebiet. Ihr Bier haben die Bayern wohl schon immer geliebt und in „Maßen“ genossen – selbst wenn man wie so oft aus „grauer Vorzeit“ nix Genaues weiß. Sicher ist, dass das Gebräu aus Wasser, Gerste und Hopfen aus Bayern genau so wenig wegzudenken ist wie die Lederhose und der Leberkäs. Eine frisch vom Fass gezapfte Maß ist den Bayern jedenfalls lieber als jedes göttliche Manna, das vom Himmel regnet. Und auch das gelobte Land in dem Milch und Honig fließen, reizt einen Bayern wenig, so lang dort kein Gerstensaft im Glas schäumt.
Der Volksstamm der Bajuwaren pflegt also ein besonders inniges, ja intimes Verhältnis zu dem Trunk aus dem die Bierbäuche sind. Diese Enge, quasi „bierlaterale“ Beziehung der Bayern zu ihrem Volksgetränk spiegelt sich in Prosa wie Poesie wieder, die wiederum im „Oans, zwoa, gsuffa“, dem Hofbräuhaus-Klassiker gipfeln. Das „Ozapft Is“ klingt dem „gestandenen Bayern“ wie eine Verheißung in den Ohren, ist das Bier doch ein lebensnotwendiges Grundnahrungsmittel – ohne dem den wahren Leben die existenzielle Grundlage entzogen würde.
Der Hopfentrunk ist also ein ganz „besonderen Saft“, wie ein jeder Malz-Mephisto weiß. Das Bayerische Reinheitsgebot von anno 1516 dementsprechend ein „faustischer Pakt“, der die Reinheit des Biers über alle Zweifel erhebt. Oder etwa doch nicht? In den guten alten, mittelalterlichen Zeiten galt bayrisches Bier als „übles Gebräu“, in dem die sonderbarsten „Zusatzstoffe“ Eingang fanden, so dass bei manchem schauerlichen Gesöff wahrlich „Hopfen und Malz verloren“ waren.
Und heute? Hopfen und Malz – Gott erhalt’s? Der Gerstensaft, der alles schafft? Von wegen – mein lieber Schwan! Der Schwandorfer Stadtbibliothekar Alfred Wolfsteiner hat anlässlich des 500sten Jubiläums des hochgefeierten Reinheitsgebots mit akribischer Sammelleidenschaft Material für seine „Schwandorfer Biergeschichten“ zusammengetragen – aus dieser „Sammelwut“ ist ein Buch entstanden, dass am Beispiel der Oberpfälzer Kreisstadt Schwandorf aufzeigt, warum Bier in unsern „bayrischen Gauen“ weit mehr ist als die Summe seiner Teile. Bier ist und bleibt ein „Mythos“ – und ein weiß-blauer dazu.
Wolfsteiner beginnt die Geschichte vom Schwandorfer Bier in chronologischer Ordnung zu erzählen. Er schreibt von der Einführung einer Biersteuer im Jahr 1459, mit der die Stadt Schwandorf öffentliche Baumaßnahmen finanzierte. Von einem der wohl ältesten Heferezepte Bayerns, das aus Schwandorf stammt. Die Hefeproduktion war ein Meilenstein für die Qualität der Bierproduktion, zuvor waren die Brauer auf Spontangärungen angewiesen.
Wolfsteiner schreibt von einem Zollstreit der Schwandorfer mit den Burglengenfeldern: Im 16. Jahrhundert wollten Letztere die Schwandorfer zwingen, ihre Biertransporte in Richtung Regensburg durch Burglengenfeld fahren zu lassen, um dort Maut zu kassieren. Eine Episode, die zeigt: Beim Malz ging es auch immer um die Moneten. Und das nicht nur seit dem Dauerstreit um die ins uferlose gekletterten Preise für die Maß Wies‘n-Bier.
In seinem „Biergeschichten“ scheut Wolfsteiner auch vor keiner „Vivisektion“ jener „Heiligen Kuh“ zurück. Dass der bayerische Gerstensaft – in dem nur Wasser, Malz, Hopfen und Hefe sein dürften – so rein war, hält er für eine gern kolportierte Mär: „Saltz / Crametbeer/ und ein wenig Kümel“, so steht es in der für Schwandorf gültigen Landespolizeiordnung von 1616. 100 Jahre nach dem Erlass des „Reinheitsgebots“ war es mit diesem also nicht sonderlich weit her.
Alfred Wolfsteiner, der seit 1982 die Schwandorfer Stadtbibliothek leitet und über 100 Aufsätze, Bücher, Artikel über die Geschichte seiner Heimat geschrieben hat, bezieht sich auf die von ihm studierten Quellen. So belegen die „Biergeschichten“ an Hand historischer Texte und Bildzeugnissen, wie der Gerstensaft über Jahrhunderte das Leben der Menschen beeinflusst, ja bestimmt hat. In Schwandorf prägte das Bier – nachdem der Wein im Laufe des 17. Jahrhunderts an Bedeutung verlor, da er schlicht zu teuer geworden war – das Leben der kleinen Menschen, aber auch der „großen Hansen“. In der Schwandorfer Ehehaftordnung von 1722 ist nachzulesen, dass es verboten war, das Cufet – eine Art Dünnbier – weiter zu strecken oder vor hohen kirchlichen Festen nach 20 Uhr zu zechen. Und in dem Regelwerk wird vorgeschrieben, in Wirtshäusern bei trinkseligen Hochzeiten alle Ecken so auszuleuchten, dass sich die Hochzeitsgäste nicht befleißigt fühlen sollten, im Dunklen zu poussieren. Die Unzucht lauerte halt immer und überall. Und die Moral war lax.
Bier galt allzeit auch als Medizin: der in Schwandorf geborene Benediktinerpater Odilo Schreger, ein Bestsellerautor des ausgehenden 18. Jahrhunderts, empfiehlt in seinem „Nutzlichen Zeitvertreiber“, mit warmem Bier das „Angesicht“ zu waschen – das mache „weiche, zarte Haut“. Als Haarspülung vertreibe warmes Bier die Milben, eine Bier-Fußmassage helfe Kindern, den Husten loszuwerden. Allen heilsamen Bier-Anwendungen hob der gestrenge Gottesmann auch den mahnenden Zeigefinger, um vor den Folgen der Trunksucht zu mahnen. So schreibt er, ganz Abstinenzler und überzeugter Gesundheitsapostel: „Wo findet der Teutsche den Tod? Im Trinck-Glaß“. Na wo sonst? Schreger würde sich wundern, wenn er am Ballermann oder auf einer Party-Meile wiedergeboren würde.
Ungeachtet der treuherzigen Ermahnungen des Paters boomte der Bierkonsum – gerade in einem Verkehrsknotenpunkt wie Schwandorf. 1840 beschäftigte die Stadt zwei Braumeister, Bürger duften gegen die Zahlung von „Mulzzins“ und „Kesselgeld“ in den städtischen Braukesseln selbst Bier brauen und es dann in sogennnaten Zoigelwirtschaften – so etwas wie Heurigenlokale – verchecken. Später verkaufte die Stadt ihre Braustätten, der „Neoliberalismus“ der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts förderte das freie Unternehmertum – und es wurden innerhalb weniger Jahre gleich drei Privatbrauereien gegründet. Wie vielerorts im Oberland – ob in Tölz, Miesbach oder Wolfratshausen – begann auch in der Oberpfalz eine Blütezeit des Brauwesens: Wolfsteiner erzählt die Geschichten der Weißbierbrauerei Mehrl, der Schlossbrauerei Fronberg, des Schmidt-Bräus, der Brauereien Hubmann und Plank – die im Laufe des letzten Jahrhunderts ihren Zenit überschritten und nach und nach von der Bier-Bildfläche verschwanden. Und mit ihnen viele Wirtshäuser, Bierschenken und Biergärten. Damals war die Hochzeit der Stammtische, der Bockbierfeste, der Faschingsbälle und Tanzbelustigungen samt einer „Maskierten Knödelpartie“. Im Wirtshaus wurde gewürfelt und vor allem Karten gespielt, gewattet und geschafkopft. Es wurde gehandelt und Händel gesucht. Dies zeigt die Groteske einer Gerichtsverhandlung wegen „Hinlassen eines Furzes in beleidigender Absicht“. Wolfsteiner schlägt aber auch ein düsteres Kapitel der Biergeschichte auf – die NS-Zeit war eine „unbayrische Zeit“. So werden auch die Auseinandersetzungen des unbotmäßigen Gastwirts Michael Baier mit der NS-Obrigkeit thematisiert.
Ein kleines, liebenswertes Buch, das die Lektüre lohnt – und Lust auf ein süffiges Bier macht.
Dinesh Bauer
Und wo gibt’s die Biergeschichten? Am besten direkt bei der Stadtbibliothek Schwandorf bestellen. Telefon: 09431 – 71 544. Mail: stadtbibliothek@schwandorf.de