Pandemien verbreiten von jeher Angst und Schrecken unter den Menschen. AIDS, Ebola, die spanische Grippe – Namen die für namenlose Furcht und massenhaftes Sterben stehen. Wir leben – so scheint’s – in einer hochtechnisierten, aseptischen, sterilen Welt – doch das drohende Verhängnis lauert immer und überall. Winzige, mikroskopisch kleine Lebewesen, tödlich wie der Biss der schwarzen Mamba. Viren, Bakterien, multiresistente Keime – bei diesen Un-Wörtern befällt uns ein unerklärliches Unbehagen, eine atavistische Angst vor Siechtum und jähem Tod. Bis auf den heutigen Tag „hassen wir etwas wie die Pest“, wünschen unseren Feinden „die Pest an den Hals“ oder müssen angesichts zweier Kandidaten wie Trump und Clinton „zwischen Pest und Cholera“ wählen.
Für die Menschen des Mittelalters war der Tod dagegen einfach nur eines: allgegenwärtig und unerklärlich. Epidemien galten als eine Strafe Gottes. Gott strafte seine unbotmäßigen, frevlerischen Geschöpfe – und bediente sich hierfür der „Gottesgeißel“. Ein Instrument, um die verderbten, sündhaften Menschen zu zügeln. Die ultimative Heimsuchung, der Inbegriff des Sterbens und göttlichen Zorns war die Pest. Keine andere Seuche hat mehr Menschen dahingerafft, keine andere mehr Unheil gesät. Ein Vorgeschmack auf das „Jüngste Gericht“.
Gottes Henkersknecht auf Erden war Gevatter Tod. Der „Knochenmann“ hielt reiche Ernte und mähte die Menschen – ungeachtet ihres Stands und ihrer weltlichen Besitztümer – nieder. Wie der Bauersmann im Weizenfeld schwang der „große Schnitter“ die Sense. Er führte eine scharfe Klinge – kein „Sünder“ entkam dem schwarzen Tod. Die Menschen starben wie die Fliegen. In ihren Häusern, auf der Straße, in Siechenhäusern und Spitälern. Und die Leichen der Gestorbenen verpesteten die Luft mit ihren wahrhaft pestilenzialischen Gestank. Ein wahrer Teufelskreis. Ein Alptraum ohne Erwachen. Die Wucht dieses von Gott befohlenen Genozids war so ungeheuerlich, die Erfahrung der Verlassenheit so allumfassend,
dass sich die Spuren des Schwarzen Todes tief ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben. Flurnamen bewahren die Erinnerung an ehedem vor den Stadttoren angelegten „Pestackern“, der Bau zahlloser Wallfahrtskirchen gehen ebenso wie die
Passionsspiele auf die Buß- und Bittrituale, auf fromme Stiftungen und Pestgelübde dieser Zeit zurück.
Nach Bayern kam die „große Pest“ in den Jahren 1633 und 1634 – also mitten im Dreißigjährigen Krieg. Sie entvölkerte ganze Landstriche – und machte vor niemanden Halt. Im sogenannten „Pfaffenwinkel“ wurden manche Ortschaften komplett ausradiert. In Wildsteig starben 160, in Böbing 154 und in Oberammergau über 80 Einwohner. Im benachbarten Kohlgrub machte der schwarze Tod förmlich tabula rasa. So heißt es in der Oberammergauer Dorfchronik: „Anno 1633 hat die Pest aller Ort eingerissen, daß man vermeint hat, die Leute gehen alle darauf. Dann in der Pfarr Kollgrub sind die Leuthe dermassen ausgestorben, daß nur 2 Paar Ehefolk anzutreffen gewesen, eines theils aus einen Hauß ist der Mann oder daß Weib gestorben, oder etliche Häußer gar ausgestorben, auch in Eschenlocher Pfarr, in denn Oberland sind erschröckhlich viele Leuthe gestorben.“
Im Dorf Böbing, das damals zur Hofmark Rottenbuch und dem dortigen Augustiner-Chorherrenstift gehörte, findet sich auf einer Anhöhe südwestlich des Dorfs – dem sogenannten Rochusbichl – noch heute ein ummauerter Pestfriedhof mit einem Bildstock und Gedenkkreuzen. Der Legende nach pilgerte der Minoritenmönch Rochus von Montpellier 1317 nach Rom. Unterwegs pflegte er Pestkranke und heilte sie auf wundersame Weise durch das Kreuzzeichen. Seitdem gilt der nichtkanonisierte Volksheilige als Schutzpatron der Seuchenkranken. Und wacht getreulich über die Böbinger Opfer der großen Pest.
Dinesh Bauer, Juni 2017