Schlagwörter
1632, 1742, Österreichischer Erbfolgekrieg, Überfall, Bad Tölz, Bad Tölz-Wolfratshausen, Dietramszell, Dreißigjähriger Krieg, Gebirgsschützen, Habichau, Hechenberg, Heimat und Historie, Heimatgeschichte, Hinterhalt, historische Stätte, Isarwinkel, Kirchbichl, Kloster Dietramszell, Mörderbrücke, Nepomuk Sepp, Panduren, Scharmützel, Schlacht, Schwedeneinfall, Tölzer Land, von Gondola, Zeller Wald, Zwieselbrücke
„Dunkel tönt es aus dem Gehölz, betet’s zu Gott, mir san von Tölz!“ Harschiger Altschnee knirscht unter meinen Stiefeln. Die Pfützen sind zugefroren. Dünn geriffelte Eiskrusten markieren die Stellen an denen kleine Rinnsale den Weg gequert und zum Bach hinab getropft sind. Im engen Tobel des Habichauer Bachs ist es merklich kühler als draußen auf den weiß überzuckerten Wiesen. Das Tal ist schmal und tief eingeschnitten. Der Waldweg schlängelt sich um die Vorsprünge der Moränenhügel, die vor allem rechter Hand steil abfallen. Bäume und Büsche stehen dicht an dicht.
Ein unwegsames, unübersichtliches Terrain, wie gemacht um einen Hinterhalt zu legen. Ein Ort, dass das Herz jedes Guerilla-Taktikers höher schlagen lässt, denn hier kann man mit wenigen, an strategischen Punkten postierten Männer eine feindliche Übermacht überfallen – und bis zum letzten Mann aufreiben. Und genau das haben die Isarwinkler Schützen getan. Und zwar gleich zweimal im Abstand von Hundert Jahren. Die Engstelle an der die alte Straße von Tölz nach Dietramszell den Bach überquert heißt Zwieselbrücke – oder in Gedenken an die beiden Scharmützel: die Mörderbrücke. Hier wurden die Schweden im Jahr 1632 und die Panduren im Jahr 1742 in die Falle gelockt, um für ihre Greuel- und Freveltaten im Oberland mit ihrem Blut zu bezahlen.
Es waren kriegerische, blutrünstige Zeiten damals. Der Dreißigjährige Krieg hatte im Mai 1632 auch Bayern heimgesucht. Der Kurfürst war aus seiner Residenzstadt München geflohen und das Land vor den Alpen war der Soldateska des Schwedenkönigs Gustav Adolf schutzlos ausgeliefert. Die herumstreifenden Horden, bessere Räuberbanden, hatten den Markt Tölz beschossen und Kontributionen eingetrieben, das Kloster Dietramszell ausgeplündert und „Schindluder“ mit den Bauern getrieben – die „Fourageure“ hatten ihre Felder verwüstet, ihre Höfe angezündet und ihre wenigen Habseligkeiten in den Beutesack gestopft. Dementsprechend wütend und zornig waren die Einwohner des Tölzer Lands auf die räuberischen Eindringlinge. Sie fassten den Plan, den Gegnern beim Rückmarsch aufzulauern und sie bei der Zwieselbrücke abzupassen. Lokalhistoriker vermuten, dass es die „Landesdefensoren“, wie man die Freischärlertrupps damals nannte, auf einen schwedischen Konvoi abgesehen hatten, der das Raubgut nach München transportieren sollte.
Da die Verbindungswege Richtung München allesamt in einem miserablen Zustand gewesen sein, wäre es den einheimischen „Scouts“ leicht gefallen die ortsunkundigen Schweden in die Irre zu führen. Prompt tappten die Schweden in die Falle – und gerieten völlig unerwartet unter Beschuß. In dem engen Talkessel nutzte ihnen ihre zahlenmäßige Überlegenheit nichts. Sie mussten unter hohen Verlusten an Mensch und Material Fersengeld geben und ließen auf ihrer Flucht Pferde, Karren, geraubtes Vieh, Waffen und Beutestücke zurück.
110 Jahre später – das gleiche Bild, der gleiche Ort. Die Österreicher hausten wie die Hunnen. „Schreckliche Reiter“ und „zerlumpte Gestalten“ machten die Straßen unsicher, überfielen die Höfe, brannten sie nieder und metzelten die Bewohner nieder. In seinem Geschichtswerk „Die Kriegsthaten der Isarwinkler“ liefert der Historiker Nepomuk Sepp eine Beschreibung der Ereignisse in jenem Schicksalsjahr 1742. Wir befinden uns mitten im österreichische Erbfolgekrieg – die Truppen Maria Theresias haben – seltsame Parallelität der historischen Ereignisse – den Kurfürsten und gewählten Kaiser des Römischen Reichs aus seinem angestammten Erbländern vertrieben. Seine Untertanen zahlten die Zeche für seine machtpolitischen Ambitionen.
Die Panduren, Kroaten und anderes Raubgesindel im Diensten der Habsburger-Dynastie wüten im Feindesland. Ganze Wagenladungen voller Beutegut werden beschlagnahmt und weggekarrt. Die Bevölkerung stöhnte unter den Raubzügen und „durfte“ zu allem Überdruss auch noch eine Brandsteuer berappen, damit ihnen das Haus nicht über den Kopf angezündet wurde. Was trotzdem des öfteren passierte. Das Leid, die Wut und der Hass auf die Besatzer wurde übermächtig. „Diese Verzweiflung“, so Sepp, „trieb das Landvolk dazu, die Sturmfahne aufzuwerfen.“ Wiederum kam dem militärischen Aufgebot der Bauern und Bürger deren genaue Kenntnis der topographischen Gegebenheiten zu Gute. Selbes Szenario, selber Ausgang. Am 12. April 1742 machten sich kaiserliche Truppen samt einen Tross voller schwer mit Beute bepackter Kastenwägen auf den Weg nach München.
Doch die „Isarwinkler“ unter Führung von Hans Gering vom Mühlberg lagen nachts schon im finsteren Wald auf die Lauer. Die genaue Zahl der Kombattanten ist nicht mehr zu eruieren. So um die 30 sollen gewesen sein, vermutet Georg Westermayer in seiner „Chronik von Tölz“. Doch die Zahl der „gamsbärtigen Guerilleros“ basiert, genau wie die Schlachtberichte selbst, allein auf mündlichen Überlieferungen.
Der genaue Ort der blutigen Auseinandersetzung war jedenfalls auch noch über 100 Jahre später, als Sepp seine Heimatchronik verfasste, bestens bekannt. An der Zwieselbrücke hatte „die Natur selber eine Festung aufgeworfen und die vorspringenden Waldhügel bildeten von selber Schanzen und Verhaue“, beschreibt Sepp die Lage vor Ort. Wer in diese Falle ging, dessen Schicksal war besiegelt. Als der Panduren-Trupp mitsamt Ross und Wagen in die Schlucht schaukelte, feuerten die „Schützen“ aus allen Rohren – und zwar gleichzeitig von hinten und von vorne.
Die steil abfallenden Hänge links und rechts des Hohlwegs machte ein Ausweichmanöver unmöglich. Ein Geschoss warf den Anführer des Trupps, einen gewissen Christian von Gondola, aus dem Sattel. Fünf weitere ungarische Reiter wurden erschossen. Von Panik ergriffen, sprengte der Rest davon – ihre Flucht fand erst im 25 Kilometer entfernten Wolfratshausen ein Ende. Die Angreifer verschwanden lautlos im Wald – die prall gefüllte Kriegskasse und die mit Silberfäden durchwirkten Handschuhe Gondolas ließen Sie mitgehen.
Und was blieb von den „Schlachten“ im Zeller Wald? Das Grab Gondolas in der Kirchbichler Kirche existiert noch heute – auch seine extravaganten Handschuhe haben die Zeiten in einer Vitrine des Stadtmuseums Bad Tölz überdauert.
Am Ort des Hinterhalts selbst wurde anno 1992 von den Ellbacher Schützen ein monolithischer Gedenkstein errichtet. Die von Moos und Flechtenflecken überkrustete Inschrift besagt: „Den Isarwinkler Bauern und Bürgern zum Gedenken, die in den Jahren großer Bedrängnis 1632 und 1742 an dieser Stelle ihre Heimat gegen Schweden und Panduren verteidigten.“ Kaum einer, der auf der nahen Staatsstraße vorbeifährt weiß mehr etwas von diesem historischen Ort. Eigentlich schade.
Dinesh Bauer
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